Litauen, 6.-9. Juni

Wenn das Wetter nicht mehr mitspielen will, dann spielen wir auch nicht mit. Wir verließen das wunderschöne Biebrza-Gebiet mit dem vielen Regen. Wir flohen nach Litauen!
Schon vor längerer Zeit hatten wir uns gewünscht, irgendwann einmal die Kurische Nehrung zu besuchen. Die russische Hälfte der Nehrung wäre weniger weit gewesen. Jedoch wollten wir die umständliche Visabeschaffung umgehen, um das Kaliningrader Gebiet herum, diese russische Exklave zwischen Polen und Litauen.
Über die Stadt Augustow ging es nach Suwałki, der letzten Stadt vor der Grenze. Hier sahen wir den ersten McDonalds-Imbiss unserer Reise, und weil wir allmählich genug hatten von den auf diversen Gaskochern zusammengezimmerten Suppen und Nudeln mit Thunfisch, kam uns dieses Schnellrestaurant gerade recht. Beim Essen konnten wir beobachten, wie viele uralte und schrottreife Autos hier unterwegs waren. Durch die Straßen zogen Müllsammler. Suwałki war offenbar keine der reicheren Städte Polens.
Unglaublich viele LKWs kamen uns auf dem letzten Stück vor der Grenze entgegen. Dies war eine der Hauptachsen des Schwerlastverkehrs zwischen dem Baltikum und Mitteleuropa. Seltsam war, daß fast niemand in unserer Richtung, nach Litauen, unterwegs war.Blick auf Nida Die Grenzformalitäten nahmen allenfalls eine Minute unserer kostbaren Urlaubszeit in Anspruch, Dagegen hatte sich, wie wir bald sahen, auf der Einreisespur der LKWs nach Polen ein kilometerlanger Stau gebildet.
Zu unserer großen Überraschung waren die Straßen hinter der Grenze in sehr gutem Zustand. Eine Woche lang hatten wir mit den polnischen Straßen gelebt, ihren unvorsehbaren Schlaglöchern, den auf unübersichtlicher Strecke rasenden LKWs, mit Pflaster und Straßenbelägen, die ihren Namen kaum verdienten. In Litauen waren selbst die Nebenstraßen in gutem Zustand. Daß man es mit Infrastruktur übertreiben kann, ist deutlich im Osten Deutschlands sichtbar, aber in Polen wußten wir nie so recht, ob in den letzten 15 Jahren Straßenbau überhaupt stattgefunden hatte.
Als wir Kaunas erreichten, fuhren wir bis nach Klaipeda durchgehend auf einer Autobahn. Die Landschaft war zunächst geprägt von Endmoränenhügeln mit Wiesen und Weiden, kleinen Feldern und Wäldern. Mittlerweile war auch das Wetter schön, sodaß man die am Auto vorbeiziehende Landschaft genießen konnte. Litauen erschien uns sehr dünn besiedelt, jedoch gibt es, außerhalb der Wälder, kaum einen Ort, von dem aus man nicht zumindest ein einzelnes Gehöft sieht. Irgendwo ist immer ein kleiner Hof. Allerdings waren hier die Häuser in den Ortschaften weniger bunt als in Polen. Viele waren eher schmucklos aus Holz, das über die Jahre sehr grau geworden war.
Als wir den Ortseingang von Klaipeda, das ehemals Memel hieß und nun die drittgrößte Stadt Litauens ist, erreichten, stießen wir auf einen furchtbaren, dreispurigen Kreisverkehr. Wir haben die Regeln für die Ein- und Ausfahrt nicht durchschaut, sondern wohl eher Glück gehabt, dass es ohne Beule ausging. Besonders problematisch machte diese Kreisverkehre, daß wir nie genau wußten, wo wir herausfahren sollten. Die Angaben auf den Schildern sagten uns Nicht-Litauern absolut nichts.Spärlich bewachsene Düne Wir wußten, daß es einer Fährfahrt über das Kurische Haff bedurfte, um zur Nehrung zu gelangen. Daher folgten wir den kleinen Piktogrammen mit Schiffen auf den Schildern. Fähren steuerten allerdings auch Ostseehäfen in Polen, Deutschland und Skandinavien an. Einen Straßenplan hatten wir nicht finden können. So fuhren wir weiter an den in Sowjetzeiten aus dem Boden gestampften Wohnsilogebieten von Klaipeda entlang, am Hafen vorbei, und plötzlich tauchte vor uns der Fährterminal nach Smiltyne auf der Kurischen Nehrung auf. Die Überfahrt mit der modernen Fähre dauerte dann nur noch kurz. Auf der anderen Seite, endlich auf der Kurischen Nehrung, gab es im wesentlichen nur eine Straße, die bis zur russischen Grenze bei Nida führte. Ein Stück hinter Smiltyne mußten wir pro Person 5 Litas (1,50 Euro) "Eintritt" zahlen, um weiterfahren zu dürfen.
Überall wuchsen Kiefern. Die Orte der Nehrung waren mächtig herausgeputzt, das sah ganz anders aus als in Klaipeda, eher so, als wäre die Zeit stehengeblieben. In Nida angelangt, fuhren wir sogleich zum Zeltplatz, dem einzigen der Nehrung. Er war, im Vergleich zu Ostpolen, ziemlich modern und schon okkupiert von überwiegend deutschen Wohnmobil-Urlaubern, aber trotzdem angenehm.Nebelkrähe Der Platz befindet sich direkt am Fuß der großen Düne von Nida und bis zur Ostsee, die wir sehr laut tosen hörten, ist es nicht weit.
Wir aßen in einem kleinen Restaurant zu abend und probierten dort unsere mühsam gelernten litauischen Vokabeln wie "Aciu" (Danke) und "Saskeita, prašom" (Die Rechnung, bitte). Das litauische "Tschüß" heißt "Iki pasimatymo". Es machte uns Ungeübten sehr viel Mühe, solche Wörter zu sagen, vor allem weil absolut nichts auch nur irgendwie bekannt klingt. Litauisch ist eine indoeuropäische Sprache, doch fällt es schwer, irgendwelche Ähnlichkeiten zu slawischen, germanischen oder romanischen Sprachen zu entdecken. Aber die Litauer freuten sich, wenn wir ein paar Wörter in ihrer Sprache sagten.Ostsee im Abendlicht Wir machten noch einen kleinen Abstecher zum Meer, das sehr windig war und kalt. Im Spülsaum entdeckten wir Tausende tote Maikäfer. Noch nie hatten wir einen Lebendigen gesehen. Was mochte ihnen widerfahren sein?

Auch wenn es am Meer sehr kalt war, im Zelt haben wir in der Nacht nicht gefroren, das Wetter war auch sehr freundlich, als wir relativ spät aus dem Zelt krochen. Nach einem Abstecher in den Ort betraten wir den Wanderweg, der bis zur Großen Düne führte. Von dort oben hatten wir einen unbeschreiblich schönen Blick über das Haff zum Festland, auf der anderen Seite die Ostsee, auf Nida und sogar bis hinüber zum russischen Teil der Nehrung. Unwillkürlich vergleicht der Wanderer hier oben die Landschaft mit einer Wüste, auch wenn es nicht ganz so heiß ist.
Am Nachmittag besuchten wir das Ferienhaus, in dem Thomas Mann zu Beginn der 1920er Jahre einige Sommer mit seiner Familie verbrachte. Nun ist es ein Museum. Nachdem die riesige Reisegruppe, auf die wir dort trafen, das Haus verlassen hatte, war es wunderbar ruhig. Mit dem Auto fuhren wir noch ein Stück nach Norden zu dem Ort Preila, der nicht annähernd so vom Tourismus vereinnahmt wurde wie Nida. Aber vielleicht hatte hier auch nur die Saison noch nicht begonnen.
Ein weiteres Stück nördlich besuchten wir ein Schutzgebiet mit einer hohen Wanderdüne. Wo sich jetzt Sandberge türmten, waren einst Dörfer. Ihre Bewohner mußten, nachdem der Wald der Nehrung gerodet war und der Wind den Sand ungehindert über das Land transportieren konnte, mehrmals ihre vom Sand begrabenen Häuser aufgeben und weiterziehen. Die schützenden Bäume waren für den Bau von Häusern und Booten geschlagen worden. Das war fatal, denn der Sand, der vorher von den Baumwurzel festgehalten wurde, geriet durch den Wind jetzt in Bewegung. Am Abend haben wir uns dann am Ostseestrand auf Bernsteinsuche begeben, denn dafür ist die Kurische Nehrung ja auch berühmt. Neben den vielen toten Maikäfern entdeckten wir nun auch jede Menge toter Marienkäfer. Wir liefen in südliche Richtung, um herauszufinden, wie weit die russische Grenze entfernt war. Zwei Bernsteinchen haben wir gefunden.

Am nächsten Morgen war das Wetter wieder unfreundlich und die Mücken so penetrant, dass wir - erneut - förmlich flüchten mussten. Wir packten das Zelt wieder ein. Ein richtiges Ziel für unsere Fahrt hatten wir nicht. Wir wollten uns zunächst im äußersten Norden der Nehrung das Litauische Meeresmuseum ansehen. Auf dem Weg passierten wir in Juodkrante die große Kormorankolonie.
Das Meeresmuseum befand sich in einer alten Festungsanlage, doch wir kamen für litauische Verhältnisse natürlich viel zu früh und mussten bis zur Öffnung um 10:30 Uhr noch einige Zeit warten. Unterdessen strömten ganze Busladungen von Schulkindern herbei. Das Delphinarium und die Tierdressuren ersparten wir uns, sondern beschränkten uns auf die Aquarien und die verschiedenen Ausstellungen.
Auf dem Parkplatz am alten Fähranleger verkauften russische Frauen Waffelrollen mit Karamel, und an einer Bude kauften wir uns einen Hot Dog russischer Machart mit frischem Rohkostsalat.
Danach fuhren wir wieder über das Kurische Haff nach Klaipeda und sahen uns noch die alte Innenstadt mit den schön restaurierten Häusern an. Vor dem Hotel Klaipeda parkte eine Hummer-Stretch-Limousine.Klaipeda Wenn die Menschen reich sind, dann richtig. Das haben wir auch in der Hyper-Maxi-Mega-Shopping-Mall gesehen, die wir am Stadtrand zufällig entdeckten. So ein riesiges ultramodernes Einkaufszentrum kennen wir nicht aus Deutschland. Man kann hier alles Erdenkliche kaufen, man kann in verschiedenen Restaurants essen und wenn einem langweilig vom Einkaufen sein sollte, so kann man noch mit einem Riesenrad fahren oder Schlittschuh laufen. Auf dem Parkplatz davor bettelte eine uralte Frau um Geld.
Hatte Klaipeda während der Hinfahrt noch einen eher heruntergekommenen Eindruck auf uns gemacht mit einem sichtbaren sowjetischen Erbe, so zeigten Altstadt und Shopping-Mall ein anderes Gesicht der Stadt.
Wir verließen Klaipeda und fuhren durch Taurage an den Nemunas, die Memel. Als wir den Fluß erreichten, fuhren wir weiter in Richtung Kaunas. Wir haben leider nur einen kleinen Teil von Litauen bereisen können, aber der Weg am Fluß entlang bis nach Kaunas, muß eine der reizvollsten Strecken des Landes sein.Nemunas - Memel Man fährt an einsamen Orten vorbei, die sich über den Flußhang erstrecken. Von Zeit zu Zeit stößt man auf Burgen oder alte Herrenhäuser. Am ersten Tag haben wir uns zwei von ihnen angesehen. Die erste Burg befand sich bei Panemunas und wird gerade wiederaufgebaut. Man kann sie nicht besichtigen, aber dafür im Park spazieren gehen. Die zweite Burg fanden wir im Ort Raudone. Sie beherbergte eine Jugendherberge und war ebenfalls von einem wunderschönen Park mit alten Bäumen umgeben.
In Raudone entschieden wir, nicht weiter fahren zu wollen. Zu unserem Glück fanden wir im Ort eine Möglichkeit zu übernachten. Sehr viele Unterkünfte gab es entlang der ganzen Strecke nicht, doch die unsere war, für unsere Verhältnisse, sogar sehr nobel, mit Einbauküche und allem möglichen Zubehör.Burg in Panemunas So konnten wir unsere Abendmahlzeit ganz luxuriös auf mehreren Flammen gleichzeitig kochen.

Am nächsten Morgen erwartete uns die Besitzerin mit einem Frühstück, das aus mit Quark gefüllten warmen Eierkuchen in Sahnesauce und Kümmelbrot bestand. So gestärkt nahmen wir Abschied von Raudone und fuhren zu noch mehr Burgen.
Die Burg Veliona existierte nicht mehr, auch wenn das nicht so klar aus dem Reiseführer hervorgeht. Zumindest haben wir dort keine Burg gefunden, sondern nur einen Burgberg hoch über dem Nemunas (Memel). Über Treppen und Wiesenpfade konnte man hinaufklettern und die Aussicht auf den Fluß genießen.
Weiter ging es dann nach Seredžius. Hier fanden wir ein ehemals schönes Herrenhaus im italienischen Stil. Vom Nemunas aus ist es über 365 Treppenstufen zu erreichen. Leider ist das an Ornamenten sehr reiche Gebäude schon sehr heruntergekommen. Bisher hat sich noch niemand gefunden, der das Gebäude sanieren könnte und so sind Fenster und Türen verbarrikadiert.
Als vorletzte Burg haben wir noch Raudondvaris angesehen. Es ist die wohl am besten erhaltene Burganlage. Darinnen befindet sich ein landwirtschaftliches Institut. Schließlich fuhren wir kurzentschlossen noch direkt nach Kaunas, in die zweitgrößte Stadt Litauens hinein. Am Rande der Altstadt stehen dort eine gut erhaltene Burgruine und ein Kloster. Die Innenstadt ist sehr sehenswert. Es gibt viele schicke Cafés, gutgekleidete junge Leute flanieren durch die Straßen. Gleichzeitig sieht der Besucher litauische Großmütter in Kittelschürzen in der Fußgängerzone stehen, die Blumen oder Gebasteltes verkaufen, um zu überleben. Andere betteln.
Die Burg Trakai, im Reiseführer gepriesen, und die Hauptstadt Vilnius, beide ca. 100 Kilometer östlich von Kaunas gelegen, haben wir nicht besucht. Statt dessen ging es zurück nach Polen. In Litauen hatte es uns sehr gefallen, und erst als wir später in Polen viel entwickeltere Orte mit deutlich mehr Touristen besuchten, lernten wir die Einsamkeit, die Abgeschiedenheit der litauischen Städte und Dörfer richtig zu schätzen.



Überblick  |  Białowieża  |  Biebrza  |  Litauen  |  Masuren  |  Östlich von Danzig  |  Westlich von Danzig  |  Links |  Literatur  |  Artenliste  |