Reisetagebuch Vietnam 16. bis 31. Juli 2002

16. Juli 2002

Die erste Flugetappe, die unter anderem über schneebedeckte iranische Berge führte, endete mit der Landung in Singapur. Die acht Stunden Aufenthalt ließen sich durch eine kostenlose Stadtrundfahrt verkürzen. Fast überall sah der Stadtstaat blitzblank sauber aus, nur wenn man genau hinblickte, sah man auch Müll. Alles in allem eher eine Werbetour für die Insel, vorbei an Geschäftszentren, Oper und Hafen hin zu einem Ferienressort, als daß man wirklich etwas erleben konnte. Die lokale "Straits Times" berichtete von Diebstählen und Überfällen, die von Arbeitslosen begangen wurden, aber staatliche Sicherungssysteme hält man für verwerflich.
Dann endlich der Weiterflug nach Ho Chi Minh-Stadt. Bei der Landung empfing mich - Regen. Nach einer endlosen Einreiseprozedur, obwohl alle Schalter geöffnet waren, bekam ich dann im Taxi meinen ersten Eindruck von Saigon: Heerscharen von Mopeds, dazwischen Autos, die sich prinzipiell zur Fahrbahnmitte hin halten und Verkehrsregeln, die alles andere als verbindlich sind, dazu noch ständiges Hupen aller Verkehrsteilnehmer - mit Ausnahme der Cyclofahrer und der Fußgänger.
Nachdem es mir gelang, den Taxifahrer davon zu überzeugen, mich nicht in einem Hotel seiner Wahl unterzubringen, sondern mich statt dessen in die Pham Ngu Lao zu fahren, die Straße der Rucksackreisenden, traf ich dort ziemlich schnell meinen zukünftigen Projektpartner Tom, der bereits seit zwei Tagen in Vietnam weilte. Einzelhandel a la SaigonAnschließend gingen wir ins Allez Boo, ein Travellerrestaurant.

17. Juli

Meine erste Nacht in Vietnam habe ich ziemlich gut verbracht. Von der Reise war ich so müde, daß die heiße Luft, gegen die der Zimmerventilator vergeblich ankämpfte, mich nicht weiter störte.
Tom erzählte, daß er bereis Innenstadt, Fluß und Zoo erkundet hatte, für heute einigten wir uns auf einen Ausflug ins Chinesenviertel Cholon. Im Bach Ma Nationalpark, wo unser Projekt stattfinden sollte, wollten wir am kommenden Montag eintreffen, so daß noch ein wenig Zeit für Ausflüge blieb. Vor der Fahrt nach Cholon wollte ich jedoch noch das Stadtzentrum erkunden. Am Anfang überquerte ich noch unsicher die vollen Straßen, aber man kann sich an das System gewöhnen, solange man nur den Mopedfahrern vertraut, daß sie auch wirklich hinter den Fußgängern vorbeifahren, es sei denn, man macht den Fehler und bleibt stehen oder verhält sich sonst irgendwie irrational, was dann gefährlich werden kann.
Die Innenstadt bietet einige prachtvoll erhaltene Kolonialgebäude, Protz-Hotels und unzählige kleine Läden, die meist nach dem bemerkenswerten System angeordnet sind, daß in einer Straße fast ausschließlich Läden mit gleichem Angebot vorkommen. Am frühen Nachmittag mieteten wir uns dann ein Cyclo, eine Fahrradrikscha, nach Cholon. Mir sind die Fahrer am liebsten, die man erst rufen muß, die aufdringlichen Fahrer sind in der Regel auch teurer oder einfach nur dreister.
Nachdem wir uns so nach Cholon bringen ließen, stellten wir fest, daß hier alles noch viel voller war als im Zentrum, aber dafür lagen die Preise niedriger als dort. Der große Markt war sehr belebt, stellenweise gab es jedoch auch ziemlich schäbige Gassen mit sehr schlechten Gerüchen. Kaufen kann man fast alles: Klamotten, Kosmetika, Mittagessen, Baguettes, Früchte, Plastefrüchte (wofür auch immer) etc.
Anschließend besuchten wir die katholische Kirche Cha Tam, in der Präsident Diem 1963 nach seinem Sturz Zuflucht suchte, um dann wenig später doch ermordet zu werden. Weiter ging es zur Pagode Chua Quan Am, die wirklich sehr schön war, allerdings auch stark verräuchert von den vielen Räucherstübchen. Unterwegs mußten wir immer wieder stoppen, um dem Tropenklima mit einer kühlen Cola zu begegnen. Zum Schluß stand noch die laut Reiseführer bekannte, meiner Ansicht nach jedoch nicht ganz so tolle Chua Thien Hau-Pagode auf dem Programm, bevor es mit dem Cyclo zurückging.
Da es noch nicht spät am Abend war, gönnte ich mir noch ein etwas unsensibles Vergnügen: eine Mahlzeit bei Kentucky Fried Chicken in Saigon in einem teuer-edlen Einkaufszentrum. Man komme mir nicht mit MacDonald's, aber im KFC fühle ich mich wohl, und leider habe ich auch zu Hause in Deutschland keines in der Nähe. Weil wir dann noch nicht genug hatten von der Ersten Welt und außerdem ein Foto von der Stadt aus der Vogelperspektive schießen wollten, beschlossen Tom und ich, in einem dieser piekfeinen Hotels uns bis zur Dachterrasse zu schleichen. Der Portier bejahte unsere Frage, ob oben ein Café zu finden sei und schickte uns dorthin. Oben angelangt in der 21. Etage fanden wir jedoch kein Café, statt dessen nur Treppenhäuser, die zu verschlossenen Türen führten. Das Personal sah uns mit unseren Rucksäcken umherirren und meinte wohl, wir wären auf der Suche nach dem Swimmingpool, wo es uns auch hinschickte. Reichlich seltsam, reiche Japaner auf der Dachterrasse eines Nobelhotels in Saigon. Wir machten unsere Fotos und trollten uns.

18. Juli

Heute früh verließen wir unser Hotel und lagerten unsere Rucksäcke bei einem Reiseveranstalter ein, wo wir eine 15$-Tour über zwei Tage durch das Mekongdelta gebucht hatten. Tom meinte, vorher noch ein Moskitonetz kaufen zu müssen, weswegen er fast den Bus verpaßt hätte. Am MekongLos ging es in einem Kleinbus. Der vietnamesische Reiseführer, ein Fahrer, ein norwegisches Paar und ein Engländer mit australischem Paß stießen noch zu uns. Ab und zu überschnitt sich unser Programm mit dem der großen Gruppe, die für drei Tage gebucht hatten. Diese bestand vor allem aus Holländern, die, wie viele Reisende, einem Dresscode folgten, der zu Hause allenfalls auf dem eigenen Balkon als statthaft gelten könnte.
Das Ausflugsprogramm war zwar oberflächlich, aber dennoch authentischer als viele teurere Touren. Der Weg aus Saigon war endlos, und auch als wir die Stadt hinter uns ließen, hatte sich lediglich der Name geändert. Noch immer zogen sich die ganze Straße entlang diese schmalen, aber tiefen Häuser hin, in deren unterer Etage sich prinzipiell ein Laden befindet. Allmählich tauchten auch immer mehr Reisfelder und Lotostümpel auf.
Den ersten Stopp legten wir an einem Mekongarm in der Stadt My Tho ein: ein wenig am Fluß wandern und die Einheimischen abwehren, die einem zum Bootsfahren überreden wollten. Nach längerer Fahrt hielten wir an einem Wald, der den Vietnamesen als Stützpunkt im Krieg gedient hatte. Eine junge Vietnamesin stakte uns im Kanu durch einen Kanal an den verlassenen Hütten vorbei.
Dann besuchten wir noch eine Reis-Papierfabrik, in der - integriertes Wirtschaften - die Abfälle gleich daneben an die Schweine verfüttert wurden. Das Feuer wurde von den Hüllen der Reiskörner unterhalten. Die letzte Tagesetappe legten wir mit einem größeren Boot über verschiedene Mekongarme und Kanäle zurück. Als wir den größten Arm erreichten, konnten wir nicht einmal das andere Ufer sehen, was aber am heftigen Regen lag, der dann einsetzte und uns alle schön naßmachte. Schwimmender MarktSchließlich fuhren wir noch ein Paar Kilometer bis zum Bungalowhotel. Ich glaube, man konnte dort für 20000 Dong übernachten (ein Euro entpricht etwa 15000 Dong). Zum Gelände gehörte auch ein Stück Wald oder Park sowie leider auch ein kleiner Zoo mit einem armen Kragenbär, Krokodilen, Welsen und verschiedenen Vögeln. Man weiß nie, ob die armen Kreaturen ihr Leben als Haustiere in den engen Käfigen fristen müssen oder ob sie nicht irgendwann gegessen werden. Es gab auch einige Affen in den Käfigen, die recht apathisch wirkten.
Den Abschluß des Tages bildete eine Bootsfahrt über den nächtlichen Mekong mit gleichzeitigem Abendessen. Nach der Rückkehr saßen wir zu fünft noch eine ganze Weile auf dem Boot und genossen die Atmosphäre. Dann und wann hörte man ein unbeleuchtetes Boot den Fluß entlangrudern, und als man die Hotelanlage gerade abschließen wollte, gingen wir zurück zu unseren Zimmern. Es folgte meine erste Nacht unter einem Moskitonetz, die hier zu den Betten gehörten und wohl auch notwendig waren.

19. Juli

Der Morgen begann früh, denn ich wollte einmal sehen, ob ich nicht ein paar Vögel zu Gesicht bekommen würde. Bislang waren alle Orte fast vollkommen vogelleer gewesen, nur in Ho Chi Minh gab es ein paar Haussperlinge. Es gab zwar zahlreiche bunte Vögel, die aber wurden in Käfigen gehalten, besonders vor den Pagoden, wo man sie wohl kaufen konnte, um damit eine gute Tat zu vollbringen, indem man sie freiließ.
Es gelang mir auch, ein paar Vögel zu sehen: einige weibliche oder junge Nektarvögel, Grauschneidervögel (Ashy Tailorbird), Weißkehl-Fächerschwänze (White-throated Fantail) und einen weiblichen Scharlachmistelfresser (Scarletbacked Flowerpecker). Leider - für den Vogelbeobachter - stehen auch die Vietnamesen sehr früh auf, und da in der Hotelanlage wohl 100 Leute zu arbeiten schienen, die alle irgend etwas bauten, fegten oder einfach nur da waren, wurde mir dann doch das Vogelbeobachten zu dumm.
Es gab noch ein Frühstück am Mekong, dann ging es wieder auf Reisen. Per Boot besuchten wir zwei schwimmende Märkte, aber viel Handel schien dort nicht stattzufinden. Viele Boote mit Früchten und Kohle und Gefäßen waren zum Markt unterwegs. Meist wird die Ware dann an Großhändler verkauft, die dafür sorgen, daß man später in Saigon die Sachen kaufen kann.Alltagsszene im Mekongdelta
Weiter ging es zu einer Reismühle, in der auch Reisnudeln hergestellt wurden. Nebenan wurden wieder die Abfälle an die Schweine verfüttert. Die Bootsfahrt war nun zuende. Ein Stück weit liefen wir durch elende Gassen bis zum Bus, der uns zu unserem Mittagessen brachte. Wir passierten eine riesengroße, fremd wirkende Brücke über einen Mekong-Arm, die mit australischem Geld und mit australischer Hilfe errichtet worden war. Einen anderen der Mekong-Arme überquerten wir in einer Fähre, was wohl eine halbwegs lukrative Einnahmequelle war, die mit Sicherheit wegbricht, wenn auch hier eine Brücke gebaut wird. Die Leute versuchten, an die Reisenden alle möglichen Dinge zu verkaufen. Es gab zahlreiche Bettler, die zum Teil entsetzlich verstümmelt waren. Einer der Invaliden schaltete seinen kleinen Kassettenspieler mit fast leeren Batterien an und sang dazu ein romantisches Lied. Anschließend ging er auf jeden der Zuhörer zu und sah sie eindringlich an, während diese auf das Öffnen der Tore zur Fähre warteten. Die Fähre war gar nicht mal so überfüllt und marode, wie man vielleicht hätte erwarten können.
 Nach einem kurzen Stopp in einem Betrieb für Räucherstäbchenherstellung ging es zu einem als Obstgarten angepriesenen Ort, der eher ein Restaurant mit ein paar Bäumen darum herum war. RäucherstübchenherstellungIn engen Käfigen wurden wieder diese armen Kreaturen gehalten: Affen, darunter sogar ein Gibbon, ein Stachelschwein, Riesenschlangen, Krokodile. Besonders der Gibbon machte einen schlechten Eindruck.
Auf der Rückreise nach Saigon fuhren wir durch ein Viertel, das offensichtlich den Gewinnern der langsamen Transformation vorbehalten war. Absurd breite Straßen, dabei kaum nennenswerter Verkehr. Prunkhäuser mit großen Gärten anstelle der zusammengequetschten Buden und teure Autos vor den Grundstücken. Kurz vorher hatten wir eine Fabrik passiert, riesengroß und sauber. Man würde gern erfahren, unter welchen Bedingungen dort drinnen gearbeitet wird. Seltsamerweise fuhren wir sogar an einem riesigen Supermarkt, sozusagen auf der Grünen Wiese vorbei. Manche der Betriebe, die wir passierten, verkündeten stolz auf Werbetafeln, nach welcher ISO-Norm sie produzierten.
Zurück in Saigon zog es mich, ich gestehe, zum KFC. Auf dem Weg zur Pham Ngu Lao sah ich in der Dämmerung Hunderte von Fledermäusen über mir fliegen, danach setzten Tom und ich uns in den Nachtbus, der die Touristen nach Nha Trang bringt.

20. Juli

Statt des versprochenen Bus kam nur ein Kleinbus, in dem wir die 10 Stunden lange Fahrt absolvierten. Irgendwann hatten die Fahrer die Klimaanlage abgestellt. Im Bus lernte ich Tomas kennen, einen 18jährigen Franzosen, der einen Monat lang als Arbeiter in einer Fabrik in Saigon die Arbeitsbedingungen am eigenen Leib studiert hatte und gerade seinen zweiten Monat in Vietnam, diesmal als Tourist, begann.
Wir leisteten uns zu dritt ein Hotelzimmer mit Klimaanlage und buchten sogleich - ganz touristisch - einen Bootsausflug zu einigen vorgelagerten Inseln, inklusive Animationsprogramm. Nha Trang ist wunderschön am Südchinesischen Meer gelegen. Die Inseln vor der Küste ragen steil aus dem Wasser, und auch auf dem Festland reichen die Berge bis nahe ans Meer heran, da die Küstenebene hier nur schmal ist.
Zum Hafen ging es mit dem Bus, der unterwegs an den verstreuten Hotels hielt, um noch mehr Touristen einzuladen - eine Chance für die einheimischen Händler. Nha TrangEine alte Frau, die Erdnüsse verkaufte, fand auch einen Käufer, aber als sie mit ihren Händen eine Plastiktüte füllte, fuhr der Bus an, und mit ihm verschwand auch ihr Käufer. Während wir noch eine Weile vor dem nächsten Hotel hielten, hatte die Frau, in Angst um ihren Tagesverdienst, den Bus wieder eingeholt, aber dasselbe Spiel wiederholte sich von neuem. Eine ganze Weile ging mir das Gesicht der alten Frau, als der Bus wieder anfuhr, nicht aus dem Kopf.
Das Ausflugsboot war vollgestopft mit Touristen aus aller Herren Länder, und als wir die erste Insel erreichten, hielten wir dort an, um im ruhigen und klaren Wasser zu schnorcheln. Es waren tatsächlich auch einige bunte Fische zu sehen. PalmeWährend die Westler ins Wasser sprangen, zogen es die Einheimischen vor, auf dem Boot zu bleiben. Dafür konnten sie mit zunehmender Dauer des Ausflugs beobachten, wie sich allmählich die Hautfarbe einiger Europäer unter dem Einfluß der Sonne in leuchtendes Rot verwandelte.
Vor der zweiten Insel legten wir einen weiteren Stopp ein, um dort Mittag zu essen. Anschließend folgte das unvermeidliche Animationsprogramm mit Liedern von der Bordkapelle auf eindrucksvollen Instrumenten sowie Rotweintrinken im Ozean an einer schwimmenden Bar. Wem's gefällt.

An der dritten Insel legten wir an. Es war eine Art Ferienressort: voller Menschen, Jetski, Paragliding inklusive einer Müllkippe - ein abstoßender Ort, aber wohl ein Blick in die Zukunft der Region. Dieser Ort entsprach aber augenscheinlich dem vietnamesischen Verständnis von Tourismus, denn Einheimische waren zahlenmäßig bei weiten in der Mehrheit.



Die vierte und letzte Insel unserer Reise beherbergte ein Fischerdorf.
Bambuskorb Die Bewohner bewältigten den Weg zwischen den Booten und Hütten in kleinen runden schwimmenden Körben, die sie mit Rudern lenkten und deren Anblick dem Betrachter das Bild von der Nußschale vor Augen rief. Um 5 Uhr abends kamen wir zurück. Wührend der ganzen Seefahrt hatte ich lediglich ein paar Segler und eine Seeschwalbe gesehen.
Der Rest des abends: ein italienisches Abendessen, Emailkontakt mit der Heimat, auch wenn die Verbindung merklich schlechter wurde, CNN-Nachrichten und eine unglaublich angenehme Nacht in einem klimatisierten Zimmer, in dem tatächlich in mir das Bedürfnis nach einer dünnen Bettdecke aufkam

21. Juli

Für heute haben Tom und ich uns vorgenommen, den Vormittag ein wenig auf der kulturellen Schiene zu gestalten und die Sehenswürdigkeiten Nha Trangs zu besuchen. Unser erster Weg führte uns vorbei an einigen imposanten Kolonialgebäuden zu - mal wieder - einer Pagode.Buddhastatue in Nha Trang Eigentlich stand mir der Sinn gar nicht mehr nach Pagoden mit all der verräucherten Luft und der sich mir nicht erschließenden Symbolik, aber der tiefere Sinn der riesigen Buddhastatue, die oberhalb der Pagode thronte, erschloß sich dann auch mir. Es lebten auch Mönche dort, die gerade, als wir kamen, sich betend auf das Mittagessen vorbereiteten. Mit der Anwesenheit der Mönche waren viele Regeln verbunden, auf die wir dummen Ausländer erst einmal aufmerksam gemacht werden mußten, so daß wir nicht mit Schuhen den Boden betraten und auch nicht den gelb gekleideten Mönchen im Bild herumliefen.
Anschließend ließen wir uns per Cyclo über eine große Brücke zu den Cham-Türmen Po Nagar fahren. Die Cham sind die ursprünglichen Bewohner der Gegend von Nha Trang, heute eine der ethnischen Minderheiten im Lande, und die Türme wurden vom 7. bis zum 12. Jahrhundert erbaut, sagt der Reiseführer. Alle Türme waren fensterlos, in manchen stand ein Altar im Schummerlicht.
Zurück liefen wir den Strand entlang über eine noch nicht freigegebene Brücke, aber es war Sonntag, und niemand stellte sich uns in den Weg. Dieser führte uns durch eine schrecklich heruntergekommene Gegend. Die Cham-Türme von Po NagarMit dem Bagger war eine breite Schneise in ein Wohngebiet geschlagen worden, auf der die Straße zur Brücke hin verlaufen sollte. Die meisten Leute, die dort gewohnt hatten, waren wohl umgesiedelt worden, aber einige trotzten noch immer der Realität. Fischer trockneten Unmengen von Fischen im Sand.
Dann quälten wir uns noch ein paar Kilometer durch die Hitze die ruhigeren Sandabschnitte entlang bis zu den Urlauberstränden mit Liegestühlen, wo Tom und ich uns bis zum späten Nachmittag einquartierten. Reste des Fischerviertels am Strand von Nha TrangDas Baden im Ozean war wundervoll: die Wellen hatten genau die richtige Höhe, und die Wassertemperatur hätte auch nicht angenehmer sein können. Immer wieder kamen Verkäufer vorbei, und das wenige Geld, das ich mit zum Strand genommen hatte, war schnell ausgegeben.
Das Faulenzen unterbrach ich nur kurz, um unsere Weiterfahrt zu organisieren, denn morgen wollten wir uns zum Wochenanfang an unserem Praktikumsplatz melden, der noch etwa 500km entfernt war. Nach der anstrengenden Busfahrt hätte ich eine Bahnreise vorgezogen, aber leider war kein Platz mehr frei, weswegen wiederum der Bus zum Transportmittel unserer Wahl wurde. Eine letzte Email nach Hause, ein Abendessen, das ich mir aus Zeitgründen einpacken lassen mußte, dann ging es los, diesmal mit einem richtigen Bus samt Klimaanlage.

22. Juli

Unser Ziel war Bach Ma, der Nationalpark, in dem wir für die nächsten Wochen unsere Umweltverträglichkeitsstudie erstellen sollten. In Nha Trang hatte es mich einige Mühe gekostet, zu erklären, wo wir hin wollten, da niemand den Platz zu kennen schien. Schließlich drang ich doch noch durch, und man gab mir einen vietnamesischen Zettel mit, der dem Busfahrer die Stelle angeben sollte, wo er uns auf dem Weg nach Hue aussteigen lassen sollte. Die erste Etappe führte jedoch zunächst in 12stündiger Fahrt nach Hoi An, einer kleinen Stadt südlich von Da Nang. Im Morgengrauen kamen wir dort an, wenig später ging es mit einem anderen Bus weiter in Richtung Hue. Auch wenn ich wenig geschlafen hatte, war diese Busfahrt nicht so anstrengend gewesen. Auch die teilweise atemberaubend schlechten Straßen konnten daran nichts ändern.
Wir fuhren durch Da Nang, die Stadt, in der während des Krieges die Amerikaner jeden Baum fällen ließen aus Angst vor der vietnamesischen Armee, und hielten schließlich an einer Touristenfalle, den Marmorbergen von Da Nang, wo sich Heerscharen von Steinmetzen angesiedelt hatten. In den Klippen fütterten Segler ihre Jungen. Zweimal sah ich in Da Nang die Folgen von kurz vorher stattgefundenen Unfällen: ein zerstörtes Fahrrad und ein Moped sowie ein andermal eine große Lache roten Blutes. Das Verkehrssystem funktioniert nicht so gut, wie man meinen könnte, nachdem ich nun schon eine Woche von allen schlechten Folgen verschont blieb.
An sonnenreichen Tagen kann man die interessante Beobachtung machen, daß die Vietnamesinnen auf ihren Mopeds nicht weniger verschleiert sind als die Frauen in manchen arabischen Ländern. Sie wollen aber nicht etwa dem Smog entgehen, sondern als Schutz vor den bräunenden Strahlen der Sonne binden sie ein Tuch vor das Gesicht und bedecken auch Hände und Arme. Weiße Haut gilt als Schönheitsideal.
Zwischen Da Nang und Hue galt es dann für uns, den Wolkenpaß zu überqueren, der an diesem TageWolkenpaß seinem Namen keine Ehre machte, denn die Sicht war grandios bis hin zum nahen Meer. Die Strecke war zwar kurvig, aber nicht so steil, wie ich befürchtet hatte. Die Straße war in einem guten Zustand, und es war erstaunlich zu sehen, wie viele alte W50 den Wolkenpaß jeden Tag bewältigten. Ihre Anzahl hatte in Da Nang bereits zugenommen, während man im Süden kaum je einen der alten DDR-Laster sah.
In dem kleinen Ort Cau Hai schließlich verließen wir den heißen Bus. Die örtliche Jugend bot sich an, uns für 50000 Dong zum Nationalparkeingang zu chauffieren, obwohl der reguläre Preis nur bei 5000 lag. Da es uns an Übung im Handeln fehlte, waren wir froh, am Ende für 15000 Dong, einen Euro, hingebracht zu werden. Die Landschaft hier, in unserer neuen Heimat, hatte wenig mit der des Südens zu tun. Es gab nur noch kleine Reisfelder, wo die vielen hohen Berge das zuließen. Die Berge selbst waren, ein bis dahin ungewöhnlicher Anblick, zum größten Teil bewaldet.
Wir wurden von einer extremen Hitze empfangen. Liesje, die Engländerin, die im Park arbeitete und unser Projekt vorgeschlagen hatte, sowie Clare, ebenfalls Engländerin, die das Personal des Parks in Englisch unterrichtete, luden uns zu einem vietnamesischen Mittagessen in die Kantine ein, die von Leuten aus dem Dorf betrieben wurde. Wir bekamen ein Zimmer im Gasthaus am Parkeingang und erholten uns erst einmal von der insgesamt 18stündigen Reise, soweit man sich in dieser Hitze denn erholen konnte.
Nachdem wir ein wenig geruht hatten und unser Entdeckerdrang wieder erwacht war, wurden wir dem Parkpersonal vorgestellt, dann war es auch schon Abend. Bevor sich die Dunkelheit über das Land senkte, nutze ich die Zeit noch zu einem kleinen Spaziergang am Dorf Khe Su entlang. Tiere gab es kaum zu sehen, was sicher auch an der Hitze lag. Ich sah einige Schachwürger (Long-tailed Shrike) und Perlhalstauben (Spotted Dove). Weit mehr gab es jedoch freilaufende Haustiere: viele Kühe, Hühner mit Küken, winzige Ferkel und Hunde. Selbst im vietnamesischen Maßstab machte das Dorf einen ärmlichen Eindruck. Ein kleiner Junge, nur mit einer kurzen Hose bekleidet, folgte mir und fand Gefallen an meinem Fernglas. Staunend betrachtete er schließlich die Welt aus der ungewohnten Perspektive, nachdem ich seinem Bitten nachgegeben hatte. Viel weiter lief ich dann nicht mehr - die Hitze.

23. Juli

Bach Ma sieht folgendermaßen aus: Am Eingang zum Nationalpark befindet sich ein durchaus interessantes Besucherzentrum, das mit einfachen Mitteln ökologische Prozesse veranschaulicht. Der Gipfel von Bach MaDort ist auch die Parkverwaltung untergebracht sowie unser Gästehaus, das außer von uns und von den beiden Engländerinnen nur sporadisch bewohnt wird. Ein Wanderweg führt an Khe Su entlang zu einem Wasserfall, und schließlich führt vom Eingang aus eine Straße nach oben zum Gipfel, wo es die meisten der Touristen hinzieht und wo sich auch die Hotels befinden. Das ganze Parkgelände ist mehr oder weniger bewaldet, und die Berge sind so steil, daß man sich wundert, wie dort größere Säugetiere leben können. Die Überreste des wahrscheinlich letzten Elefanten im Park, der gewildert wurde, fand man 1991. Aber es sollen noch mindestens 8 Affenarten im Park leben, darunter Gibbons, die erst in den 90er Jahren für die Wissenschaft neu entdeckte Antilopen-Art Saola, Muntjaks, Kragen- und Malaienbären, Mungos und verschiedene Katzenarten, auch Leoparden sowie Tiger, von dem man immerhin ab und zu eine Spur entdeckt hat. Welche Tiere man tatsächlich zu Gesicht bekommen kann, weiß ich bislang noch nicht, aber die Parkwächter sollten es wissen. Sie verbringen die meiste Zeit im Wald und in den 5 Stationen, die es im Park gibt und haben daher den größten Überblick darüber, was im Nationalpark vor sich geht.
Unser zweiter Tag im Park brachte den ersten Stromausfall. Fast während der ganzen Bürozeit gab es keinen Strom. Das sollte eigentlich nicht so schlimm sein, würden davon nicht die Ventilatoren und Klimaanlagen angetrieben. Und das ist schlimm, denn die Hitze ist beispiellos. Wir reagierten, indem wir die Zahl unserer Besuche in der Kantine erhöhten und uns dort an Cola mit Eis gütlich taten.Aufstieg zum Gipfel

Am frühen Nachmittag entschlossen wir uns dennoch zu körperlicher Anstrengung: Wenn man der Straße, die vom Parkeingang zum Gipfel führt, für ungefähr 3km folgt, erreicht man einen Wanderweg, den Pheasant Trail. Zum Glück mußten wir nicht die ganze Strecke bis nach oben laufen, sondern konnten bequem auf der Ladefläche eines W50 mitreisen, der Baumaterialen nach oben transportierte. So konnten wir die wunderbare Aussicht genießen. Immer wieder gaben die Berge den Blick auf die nahe Lagune frei sowie auf das Meer dahinter. Die Vögel im Park hielten jedoch Siesta, nur Rotohrbülbüls (Redwhiskered Bulbul) sahen wir häufig, manchmal in größeren Schwärmen.
Wir liefen ein Stück weit den Wanderweg entlang, aber nicht bis zum Ende, da wir uns nicht darauf verlassen konnten, daß uns auch jemand wieder mit nach unten nimmt, und wir vor dem Einbruch der Dunkelheit zurücksein wollten. Zwar sahen wir wenig auf dem Trail, es gab jedoch zahlreiche geheimnisvolle Geräusche im Wald. Weniger geheimnisvoll war das Krähen der wilden Hähne, die hier leben und von denen ich zu gern einen zu Gesicht bekommen hätte. Auf dem Weg lagen hin und wieder große, tote Würmer, eine Art Regenwurm, aber viel größer. Sie waren auch für die Haufen von Erde verantwortlich, die am Wege lagen.
Unsere Annahme erwies sich dann als richtig: Niemand nahm uns mit, die Touristenautos fuhren vorbei, und wir mußten bis nach unten laufen, wo wir kurz vor dem Dunkelwerden ankamen.

24. Juli

Wieder einer dieser heißen Tage - und ein weiterer Tag ohne Strom. Die Erklärung, die wir dafür hörten, war, daß durch die Trockenheit die Wasserstände weit gesunken seien und die Kraftwerke nicht genügend Strom produzieren konnten, so daß man den weniger wichtigen Gegenden den Strom ausknipste.Unser Arbeitsplatz - das Besucherzentrum
Es half nichts, so ließen wir es wieder ruhig angehen. Manchmal kam Wind auf, der ein wenig erfrischte. Wir lasen uns ein wenig in die Unterlagen des Parks ein. Immerhin waren wir nicht die einzigen, die müßig waren, denn das ganze Parkpersonal war eher in Sommerferien-Stimmung. Welch ein Auftakt für unsere Arbeit.
Im Laufe des Tages wurden wir noch dem Parkdirektor vorgestellt und konnten unsere Gastgeschenke überreichen. Ich trug vor, wie wir uns unsere Studie vorstellten, stieß aber nur auf eine unverbindliche Reaktion. Aber das ist wohl auch okay, wenn man uns als das ansieht, was wir sind: Studenten bei ersten praktischen Versuchen und nicht als die reichen Europäer, die angeblich immer viel Geld mit sich bringen.
Am Abend trafen wir uns noch mit Liesje und Clare und ließen uns von der Arbeit im Park erzählen. Da das Wäschewaschenlassen etwas kompliziert und teuer ist, habe ich einen großen Teil der letzten Tage mit folgendem verbracht: Waschen und Bügeln.

25. Juli

Der dritte Tag, an dem es tagsüber keinen Strom gab, aber heute macht mir das nichts aus, denn Tom, Liesje und ich nahmen einmal die Gipfelregion des Parkes in Augenschein.
Am Abend zuvor hatte Tom einen Zettel in der Kantine abgegeben, auf dem er in vietnamesischen Worten aus meinem kleinen Wörterbuch notiert hatte, daß wir uns zum Frühstück gern einmal Tomate und Gurken wünschten. Das GipfelhausBislang klappte die Verständigung mangels gemeinsamer Sprache doch eher schlecht, und wir aßen, was man uns brachte, aber der Plan mit dem Zettel funktionierte heut morgen.
Auf einer W50-Ladefläche, der Steine zum Straßenbau nach oben brachte, ging es zum Gipfel. Für die 15 Kilometer lange Strecke benötigten wir 2 Stunden, so mühsam quälte sich der LKW nach oben, obwohl die Straße in einem relativ guten Zustand war. Unterwegs passierten wir die Behausungen der Arbeiter, die schon seit Monaten damit beschäftigt sind, eine elektrische Leitung zum Gipfel zu verlegen, auch wenn man ich mich frage, wo dann der Unterschied ist bei all den Stromausfällen.
Wir liefen einen Wanderweg, den Rhododendron Trail, entlang, der zu einer der Attraktionen des Parkes führte, einem 300 Meter tiefen Wasserfall. Der Weg führte durch den Wald and an kleinen Flüssen entlang, aber einmal passierten wir auch eine Stelle, wo früher einmal Feldbau betrieben wurde, bevor man das Gebiet zum Nationalpark machte. Dieser Plan wurde schließlich aufgegeben, da das Klima hier oben zu ungünstig war (es regnet sehr viel) und weil der Platz auch einfach zu abgelegen ist, um die Produkte zum Markt zu bringen. Dennoch konnte man nach so vielen Jahren noch immer die Furchen im Boden sehen. Wunderschön blühten dort die Orchideen. Am Wasserfall machten wir dann Rast und genossen die Aussicht. Das Wasser dort oben ist wunderschön kühl, ein Segen. Unterwegs sahen wir mehrmals am Fluß Graurücken-Scherenschwänze (Slaty-backed Forktail), auch wenn sie in Bach Ma gar keine grauen Rücken haben, sondern schwarze.
Bei Khe SuZurück auf dem Hauptweg liefen wir die 2 Kilometer, die uns noch bis zum Gipfel fehlten. Neben den scheinbar immer mehr werdenden Hotels gibt es auch noch Ruinen von Villen aus der französischen Kolonialzeit. Auf dem Weg sahen wir eine Schlange, etwas mehr als einen halben Meter lang, die wohl von einem Auto überfahren worden war und jetzt ganz offensichtlich im Sterben sich noch ein Stück weiterschleppte. Als wir zurückkamen, hatte sie jemand erlöst, aber ich weiß nicht, ob dies auch das Motiv der Handlung war. Viele Menschen sind der Meinung, eine Schlange zu töten, sei eine gute Tat.
Wir liefen noch den Weg zu einer der beiden Bergspitzen. Auf dem gegenüberliegenden Gipfel hatte man einen Aussichtsturm gebaut. Die Sicht war recht gut. Nach der einen Seite zu lag Laos, auf der anderen sah man die Lagune und den Ozean. Selbst das Besucherzentrum unten konnte man, winzig klein, erkennen.
Als wir wieder zu den Hotels zurückgingen, wartete ein Fahrer des Parks mit einem Jeep auf uns uns, was uns die 15km-Wanderung nach unten ersparte. So brauchten wir nur eine halbe Stunde. Unten angekommen war es höchste Zeit für eine Cola mit Eis. Während ich mich ausruhte, traf sich Tom mit dem Parkpersonal zum Federballspiel, aber er verlor, der Westler.

26. Juli

Wieder einer dieser heißen Tage, und wieder gab es keinen Strom. Diesmal jedoch verließ er uns später als gewöhnlich und kam auch eher wieder zurück. Der Vormittag war wieder nicht sehr arbeitsreich. Wir schrieben lediglich unseren Plan für die nächsten, dann hoffentlich arbeitsreichen Wochen. Außerdem organisierten wir uns eine Mitfahrgelegenheit für unser Wochenende in Hue, wohin uns der Parkdirektor, Herr Keo, mitnehmen wollte, der dort seine Wohnung hatte.
Für den Nachmittag entschlossen wir uns, im Fluß baden zu gehen, was Liesje und Clare uns empfohlen hatten. 2 Kilometer weit liefen wir durch die Mittagshitze am Dorf vorbei. Als wir ankamen, hörten wir die Dorfkinder lärmen. Sie verfügten über eine natürliche Rutsche, wo das wenige Flußwasser am glattgeschliffenen Stein in leichter Neigung herunterfloß. Ich bin überzeugt, daß es für Vietnamesen in Deutschland auch schwer werden könnte, im Angesicht der Dorfjugend mancher Landstriche meiner Heimat ein vergnügliches Bad zu nehmen. Leider erging es uns nicht anders. Da wir für den aufdringlicheren Teil der Dorfjugend eher ein Anlaß für Lächerlichkeiten der unangenehmen Art zu sein schienen, entschlossen wir uns, ein wenig weiter flußauf zu gehen, um uns dort in Ruhe abkühlen zu können. Leider wurden wir verfolgt. Tom nahm zwar ein kurzes Bad in dem übrigens gar nicht so kalten Wasser, während ich es vorzog, draußen sitzen zu bleiben, aber bald veranlaßten uns die aufdringlichen Fragen nach Zigaretten und Dollar sowie die Witzeleien zum Rückzug. Jedoch stellten sich dieselben Kinder hilfsbereit zur Verfügung, wenn es für uns galt, glitschige Bereiche zu überwinden, was Das obere Verwaltungsgebäudewiederum in Deutschland so niemals passieren würde. So lief ich also unerfrischt wieder die 2 Kilometer zurück, den ganzen Weg mit seinen Brücken, die über mittlerweile gänzlich trockenliegende Flußabschnitte führten. Es war mal wieder Zeit für eine Cola mit Eis.
Nach Büroschluß schließlich ging es nach Hue. Der Parkdirektor verfügte über einen repräsentationsfähigen nagelneuen Geländewagen, der auf den Straßen, die hauptsächlich von Moped- und Radfahrern frequentiert wurden, auffiel. Zum Wagen gehörte auch noch ein Chauffeur.
So fuhren wir also zum ersten Mal nach Hue, eine einstündige Fahrt. Das Land ist an vielen Stellen wunderschön: die tropische Vegetation mit Palmen und Bananenpflanzen, links die Berge, rechts das Meer, dazu dann noch einige vietnamesische Hütten, Reisfelder, Lotosteiche und Wasserbüffel. Meistens zeigt sich dem Reisenden jedoch ein anderes Bild: endlose Siedlungen, die sich die ganze Straße entlangziehen. Auf ein Schild, das das Ende eines Ortes anzeigt, folgt ein neues, das den Beginn des nächsten Ortes ankündigt. An der Straße endlose Reihen einfacher Läden, im hinteren Teil des Hauses dann die Wohnung. Und natürlich überall Menschen.
In Hue suchten wir uns ein Hotelzimmer und gaben uns all den profanen Dingen hin, zu denen es im Park keine Gelegenheit gibt: Fernsehen, Emails schreiben und westliches Essen. Die angenehme Temperatur im Raum, für die die Klimaanlage sorgte, ließ mich in der Nacht sogar zur Bettdecke greifen.

27. Juli

Tom wollte eine Bootstour unternehmen, und ich wollte ihn begleiten in der Annahme, daß wir für den Preis von 2 Dollar würden ein wenig über den Fluß der Wohlgerüche geschippert werden. Statt dessen dauerte die Tour 8 Stunden und führte zu einigen der alten Grabanlagen der vietnamesischen Herrscher aus der Zeit, als Hue die Hauptstadt der vietnamesischen Monarchie war. Alltag in einem der Dörfer unweit der Kaisergräber

5 Haltepunkte standen auf dem Programm. Erster Stopp: Die Thien-Mu-Pagode, eine ziemlich imposante Anlage inklusive betender Mönche, aber ich werde wohl nie zum Kulturtouristen, vor allem nicht, wenn ich über die Kultur nur wenig weiß und auch keine Erklärungen, zum Beispiel auf Hinweistafeln, finde. In einem Seitengebäude stand das Auto, mit dem im Jahre 1963 einer der Mönche dieses Klosters nach Saigon gefahren ist, um sich dort aus Protest gegen die Religionspolitik des Prüsidenten Diem anzuzünden. Das Auto wird fast wie eine Reliquie verehrt, aber ich weiß nicht, ob dies eine sinnvolle Art des Protestes ist.
2. Stopp: Das Grab des Tu Duc. Spätestens hier mußte ich bemerken, daß wir in eine Touristenfalle geraten waren, obwohl es offensichtlich einige Reisende gab, die diese Tour genossen. Mit überteuerten Motorradtaxis konnte man sich zur Grabanlage fahren lassen, oder man zog es vor, sich eine Stunde lang einfach die Gegend am Fluß anzusehen, so wie wir, denn um zum Grab zu laufen, war es wohl zu weit. Ich glaube, um dieses und die anderen Gräber zu sehen, wühlt man lieber einen kühleren Tag und mietet vielleicht ein Fahrrad oder Moped. Auf diese Weise kann man auch selbst bestimmen, wie lange man bleiben will.
Dritter Stopp dann: Hon-Chen-Tempel, mal wieder ein Cham-Heiligtum wie schon in Nha Trang. Anschließend gab es Mittagessen auf dem Drachenboot.
Vierter Stopp: das Grab Khai Dins. Eine weitere Touristenfalle, zumindest wenn man mit dem Boot kommt. Man könnte die Vorstellung haben, die Gräber, von denen jedes für sich eine einzige wunderschöne Parkanlage ist, Steinerner Löwesind lose verteilt inmitten der grandiosen Landschaft, und das waren sie wohl auch einmal, aber inzwischen sind um sie herum zahlreiche Dörfer entstanden, in denen die Bevölkerung, wer will es ihnen verdenken, auf Touristen lauert.
Khai Dinh ließen wir auch links liegen, statt dessen besuchten wir - 5. Stopp - die prächtige Grabanlage Minh Mangs. Sie liegt als die einzige der großen auf der anderen Seite des Flusses und wäre daher mit dem Fahrrad schwerer zu erreichen als mit dem Boot. Es gab dort Seen, Pavillons, Tempel und Alleen - eine Oase der Ruhe in Vietnam, wenn nicht die vielen Touristen wären, die immer im Wege standen, wenn man ein Foto schießen wollte. Aber wer weiß, wem ich im Wege stand...
Es folgte eine lange Fahrt zurück nach Hue. Unterwegs sahen wir Schiffe auf dem Fluß, von denen die Leute offensichtlich Kies vom Grund des Wassers in einer mühseligen Weise nach oben beförderten. Zurück im Hotel erfuhren wir, daß Clare und Liesje, die eigentlich vorhatten, den Gipfel von Bach Ma zu besuchen, sich ebenfalls entschlossen hatten, das Wochenende in Hue zu verbringen. Wir beschlossen, zusammen ein italienisches Restaurant zu besuchen, das erst am Vortag eröffnet worden war und eine Lücke in Hue schloß. Dem Personal mußte man aber noch etwas Zeit zur Einarbeitung geben, da die gelieferten Gerichte wenig mit dem Bestellten zu tun hatten, das meine fand sich nicht einmal auf der Karte.
Den Abend ließen wir in zwei verschiedenen Bars ausklingen mit ein wenig Poolbillard. In beiden spielte man dieselben Lieder von C.C.R. Ich weiß nicht, ob die Tonbänder Kriegsbeute waren. Moderne westliche Musik ist wenig verbreitet. Ob die älteren Herren, die in der DMZ-Bar bedienen, eigene Kriegserfahrungen gemacht haben? Der Gedanke drängt sich auf, aber in meiner Phantasie werden aus alleinreisenden, älteren Westlern auch immer ehemalige amerikanische Soldaten...
So lange nach dem Fall - oder der Eroberung, je nachdem, Saigons erscheint es so unwirklich, daß ein so langer, so blutiger Krieg um dieses ferne Land geführt worden ist. Was ließ dieses Land als so wichtig erscheinen? Wen kümmert es denn ernsthaft, ob die Leute nun ihren niedrigen Lebensstandard welchem Wirtschaftssystem auch immer verdanken?

28. Juli

Ein Tag des Faulenzens, begleitet von Regen. Liesje und Clare mußten bereits zurück in den Park. Tom und ich hatten noch einen Tag in Hue, bevor wir wieder mit Herrn Keo zurückfahren würden. Das Mittagessen gab es in einem der Travellercafés, was ich bereut habe, da das Essen dort nur von der Stange ist. Selbst die Soße zu den Nudeln opferte man der knallharten Kalkulation, was aber wohl auch den Bedürfnissen der zahlreichen low-budget-Reisenden entspricht, die die Touristenorte bevölkern.
Am Abend traf ich - beim Inder - ein junges Schweizer Paar, das auf der Suche nach einem individuelleren Fortbewegungsmittel war, als es die Touristenbusse sind. Schließlich landete unser Gespräch mal wieder bei der Frage: Woran erkennt man, daß Vietnam ein sozialistisches Land ist? Im Vergleich zur DDR gibt es nur wenig Ähnlichkeiten: die vielen W50, aber ich habe keine Simson gesehen. Das Fernsehprogramm ähnelt sich auch: lange Nachrichtensendungen mit Parteitagsreden, Unmengen seichter Musik, und es gibt nur die drei staatlichen Sender, keine einheimischen Alternativen. Doch während in der DDR oft Geld nicht das Problem war, aber man dafür kaum etwas kaufen konnte, gibt es hier in den Städten - vielleicht mit Ausnahme fremdsprachiger Literatur - fast nichts, was man nicht kaufen könnte. Es fehlt den meisten Leuten lediglich das Geld dafür, aber theoretisch kann man Cola, Computer und all diese Sachen hier erwerben. Ich glaube, die Regierung sollte Broschüren an den Flughäfen verteilen, in denen den Touristen, denen sich das sonst nicht erschließt, die Logik hinter dem vietnamesischen Kommunismus erklärt wird.
Der Abend klang in der DMZ-Bar aus, mal wieder C.C.R., mal wieder Black moon rising.

29. Juli

Früh am Morgen ging es zurück in den Park, fort von dem touristischen Alltag und den vielen Reisenden aus Europa, in Bach Ma bekommen wir wenig davon mit, da die meisten Touristen schnell zum Gipfel fahren und dort bleiben, während wir ja unten sind. Es regnete ein wenig vor sich hin. Das machte das Leben im Park wesentlich angenehmer, und wir konnten die Arbeit an unserer Studie angehen.
Blick über die VerwaltungsgebüudeEiner der Parkarbeiter, Herr Thinh, der die wissenschaftliche Abteilung leitet und den wir eigentlich noch für unsere Studie interviewen wollten, macht sich in dieser Woche auf den Weg nach Göttingen, wo er zwei Jahre lang tropische Forstwirtschaft studieren wird - wenn das nicht absurd klingt. Das Wissen über die Tropen ist wohl dort größer, wo es auch mehr Geld gibt, selbst wenn dies im kalten Deutschland sein sollte.
Am Abend entschloß ich mich zu einem kleinen Spaziergang. Es waren auch ziemlich viele Vögel anwesend, nur leider waren sie einfach nicht gut genug zu sehen, um sie wirklich bestimmen zu können. Dafür boten die Wolken, die niedrig an den Berghängen hingen, während die Gipfel wolkenfrei waren, einen wunderschönen Anblick.
Liesje erzählte uns, daß am Wochenende einer der Wildhüter in einem Verkehrsunfall gestorben sei. Ein weiterer hatte seinen Neffen verloren, als ein LKW von der Straße abkam und in ein Haus raste. Außerdem sind an diesem Wochenende noch zwei weitere Personen in der näheren Umgebung dem Straßenverkehr zum Opfer gefallen. Das Verkehrssystem scheint nicht so gut zu funktionieren, wie man manchmal denkt.

30. Juli

Kein Regen heute, aber es war bewölkt und daher nicht so heiß, sondern nur warm. Tom verbrachte Stunden am Computer, leider der einzige, der frei war für unsere Arbeit.
Im Park fand heute eine große Versammlung der wichtigen Parkangestellten statt, daran anschließend wurde noch für ein wichtiges Volleyballturnier trainiert, das am Donnerstag in Hue stattfinden soll. Am Abend dann fand ein gemeinsames Abendessen in der Kantine statt zu Ehren von Herrn Thinh, der nach Deutschland geht, sowie von Clare, deren Jahr als Englischlehrerin im Park zu Ende ist. Sie geht zurück nach Großbritannien. Gleichzeitig wurden wir noch einmal dem gesamten Parkpersonal vorgestellt.
Zum Essen wurde reichlich mit Bier angestoßen und darauf geachtet, daß die Gläser nicht leer wurden, was unter den Angestellten recht schnell zu den entsprechenden Folgen führte. Es gab noch eine unvermeidliche Karaoke-Stunde mit Einlagen des Parkdirektors und vietnamesischen Liedern. Dieser Kelch jedoch ging an uns vorüber, und was gegen 18 Uhr begonnen hatte, endete bereits vor um acht, als nur noch ein kleiner Teil zurückblieb und noch ein wenig weitertrank.
Auf dem Weg zurück ins Gasthaus leuchteten so hell wie noch nie zuvor die Sterne über uns, ganz genau konnte man dem Verlauf der Milchstraße folgen.

31. Juli

Ich hatte mir vorgenommen, mit der Sonne aufzustehen und tat es auch. Aber es war keine gute Idee. Mit dem Fernglas lief ich um 5.30 Uhr den Weg am Dorf entlang in der Hoffnung, den ein oder anderen Vogel zu sehen, statt dessen hörte ich ein laut plärrendes Radio mit vietnamesischer Musik aus dem Dorf, und mir begegneten viele Leute, jedoch keine Vögel. Vielleicht sollte ich einen ruhigeren Weg suchen, z.B. am Gipfel. Nach einer halben Stunde trat ich den Rückzug an und schlief noch ein wenig.
Herr Thinh, der sich heute nach Deutschland verabschiedete, bekam noch einen Fragebogen von uns mit für unsere Studie.



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